Zerstörte Träume
Zerrissene Träume Expressionistische Kunst vom Aufbruch in die Moderne bis zur NS-Verfolgung
Eine Ausstellung mit Werken aus der Sammlung Gerhard Schneider im Sauerland-Museum des Hochsauerlandkreises
Oliver Schmidt
Zusammenfassung (generiert mit Lama3.2)
Die Ausstellung "Expressionismus und Erster Weltkrieg" im Sauerland-Museum in Wuppertal beschäftigt sich mit der Entwicklung der Expressionisten-Kunst während des Ersten Weltkriegs. Die Ausstellung zeigt eine Vielzahl von Werken aus verschiedenen Medien, darunter Gemälde, Druckgrafik und Skulpturen. Die Ausstellung ist unterteilt in mehrere Abschnitte: * "Sauerland": Hier finden sich Werke der Sauerländer Künstler, die während des Krieges tätig waren. * "Front": In diesem Bereich werden Gemälde und Druckgrafiken gezeigt, die die Erfahrungen von Kriegsanbietern darstellen. * "Revolutionszeit": Hier finden sich Werke von Künstlern, die die Revolution 1918 erlebt haben. * "Neue Sachlichkeit": Diese Abteilung beschäftigt sich mit der Entwicklung der Expressionistik in den Jahren nach dem Krieg. Die Ausstellung ist auch umgeben von einer Vielzahl von Dokumenten und Objekten, die die Geschichte des Ersten Weltkriegs und seiner Auswirkungen auf die Kunst darstellen. Einige der Highlights der Ausstellung sind: * Die Sammlung Gerhard Schneider: Diese umfasst eine Vielzahl von Werken, die den Künstler über seine Karriere hinweg repräsentieren. * Die Werke von Käthe Kollwitz: Diese expressionistische Malerin war eine Pionierin für weibliche Kunst und hat in der Ausstellung mehrere Werke gezeigt. * Die Druckgrafik von Otto Fischer-Trachau: Dieser Künstler war bekannt für seine dunklen und emotionalen Gemälde, die den Krieg und seine Auswirkungen auf die Menschen darstellen. Die Ausstellung ist bis zum 30. Juni 2024 geöffnet und kann auch während der Woche besucht werden.
Es ist fürchterlich dran zu denken und das alles um nichts, um eines Mißverständnisses willen, aus Mangel, sich dem Nächsten verständlich machen zu können! Und das in Europa!"1, schrieb Franz Marc zum Jahresbeginn 1916 von der Front. Das Zitat zeigt eine besondere Eigenschaft dessen, was unter "Expressionismus" zu verstehen ist: seine bis heute anhaltende, sich fortwährend erneuernde, zeitlose Aktualität und Relevanz. Diese brachte Marc freilich weniger durch seine Briefe zu Papier als vielmehr mit seiner Kunst auf die Leinwand oder andere zur Verfügung stehende Materialien. Er hatte mit Wassily Kandinsky 1911 die Künstlergemeinschaft "Der Blaue Reiter" gegründet und gehörte damit zu den Vordenkern expressionistischer Kunst. Die Erstausgabe des "Blauen Reiters" von 1912 geriet zu einem der einflussreichsten Kunstmanifeste des 20. Jahrhunderts und verkörperte mit seinem grafischen Ansatz wiederum die im Expressionismus zu neuen Höhen strebende Disziplin des Kunstdrucks und Schnitts, ob mit Holz, Linoleum oder als Lithografie.
Den erst später so bezeichneten Expressionismus begründete 1905 eine andere mindestens ebenso bekannte Künstlergemeinschaft:
Kandinsky, Wassily, Marc, Franz – Der Blaue Reiter, 1912 Foto: Fotoatelier Saša Fuis, Köln
Die "Künstlergruppe Brücke" formierte sich in Dresden um die Künstler Fritz Bleyl, Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff. Der 1887 in Meschede geborene August Macke wiederum war ein maßgeblicher Exponent des "rheinischen Expressionismus" mit engen Banden insbesondere zum "Blauen Reiter". Gerade in diesen Netzwerken und einer Vielzahl weiterer Künstlergemeinschaften, Gruppen und Zusammenschlüssen fanden sich die Künstlerinnen und Künstler des Expressionismus zusammen, schmiedeten Bündnisse für Ausstellungsvorhaben, vermittelten untereinander Kontakte zu Mäzenen und Galerien, tauschten sich aus, malten und zeichneten gemeinsam.
Das Sauerland-Museum des Hochsauerlandkreises würdigte anlässlich der Eröffnung seines Neubaus 2019 August Macke als einen der bekanntesten Söhne des Sauerlands mit Ausstellung und Katalog „August Macke – ganz nah“2 – mit weit die Erwartungen übertreffendem Erfolg. Bereits zwei Jahre später knüpfte das Museum mit „Im Westen viel Neues. Facetten des rheinisch-westfälischen Expressionismus“ an das Thema an, um jenseits des Einzelkünstlers die Netzwerke und Institutionen in den Blick zu nehmen, in denen sich der Expressionismus entwickelte, ausbreitete und die ihrerseits diese neue Kunstströmung förderten.
Beide Ausstellungen waren in Zusammenarbeit mit der Kuratorin Ina Ewers-Schulz entstanden. Endete die erste Ausstellung inhaltlich mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und dem Tod August Mackes bereits im September 1914 an der Marne, umrahmte die Folgeausstellung die "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" mit der Frage nach den Rahmenbedingungen künstlerischer Produktion im Kaiserreich im Gegensatz zu denen des revolutionären Nachkriegs-Deutschlands bis etwa 1928, also bis kurz vor den Aufstieg des Nationalsozialismus. An den Schluss dieser Ausstellungsserie stellt das Sauerland-Museum nun mit „Zerrissene Träume. Expressionistische Kunst vom Aufbruch in die Moderne bis zur NS-Verfolgung“ eine Erzählung, die der Entwicklung expressiver Kunst von ihren Anfängen bis zu ihrer Verfolgung im nationalsozialistischen Deutschland nachspürt und dabei immer wieder aufzeigt, mit wie viel Optimismus, revolutionärem Gestaltungs- und Erneuerungswillen und Hoffnung expressionistische Künstlerinnen und Künstler gegen Widerstände ihre Ausdrucksmittel weiter schärften und entwickelten.
Die Expressionisten prägten mit ihren Mitteln, Techniken und Sichtweisen das Bild der Zeit
Die vielleicht manchmal geradezu naiv-überspitzten Vorstellungen davon, die Gesellschaft mit den Mitteln der Kunst heilen und gestalten zu können, stellten sich gerade mit dem Ersten Weltkrieg und der kaum zu begreifenden, aber mehr als realen, enthemmten Gewalt des Nationalsozialismus wiederholt als Illusionen heraus. Doch blieb es kunsthistorisch im Nachhinein betrachtet – und das ist schon ein bisschen zynisch – eine glückliche Fügung, dass es ausgerechnet "die Expressionisten" waren, die sich in einer Zeit bis dahin unvorstellbarer Beschleunigung in Wissenschaft, Technik, Industrie, Verkehr, Kommunikation usw. mit bis dahin ebenfalls unfassbaren, gewaltsamen Umwälzungen konfrontiert sahen und letztlich mit ihren Mitteln, Techniken und Sichtweisen das Bild der Zeit prägten.
Bereits im Ersten Weltkrieg ersetzte die Fotografie den Maler in seiner Aufgabe, das Kriegsgeschehen zu dokumentieren. Doch gelang es den Überlebenden, Gewalt und Zerstörung des Kriegserlebnisses auf bis dahin nie dagewesene Art und Weise in die kollektive Erinnerung einzubrennen. Sie waren es, die mit Farbe, aber auch in schwarz-weiß Grafik, die Dynamik, Macht und das Ungeheuerliche des Krieges zu erfassen vermochten, letztlich davon inspiriert, aber auch, um mit ihrer Kunst dem Erlebten Ausdruck zu verleihen. Das alles bezahlte die Kunst natürlich mit einem nicht zu verschmerzenden Blutzoll an herausragenden Künstlern, die im Krieg gefallen waren: August Macke, Franz Marc, Walter Bötticher, Max Zachmann – sie alle blieben im Krieg, um nur einige zu nennen. Auch in Angesicht der Gleichschaltung im Kunstbetrieb und des brutal durchgesetzten, totalen Machtanspruchs des Nationalsozialismus bei der Konstruktion einer "rassisch-gereinigten" Volksgemeinschaft waren es expressionistische Künstlerinnen und Künstler, die der Gewalt, der Rohheit und der unaussprechlichen Grausamkeit totalitärer Herrschaftspraktiken Gesicht und Bild gaben. Für die Maßstäbe setzende Auseinandersetzung mit Haft, Folter und Verfolgung seien hier exemplarisch lediglich Fritz Schulze, Hubert Rüther, Hans Grundig und Rudolf G. Bunk genannt.
Eine "einzigartige Sammlung expressiver Kunst"
Mit seiner einzigartigen Sammlung von über 6 000 Werken expressiver Kunst gehört Gerhard Schneider zu den bundesweit bedeutendsten Sammlern der Deutschen Kunst im 20. Jahrhundert. Ein besonderer Schwerpunkt seiner Sammlung liegt auf dem Expressionismus, auf dem, was der Sammler selbst als "expressive Gegenständlichkeit" bezeichnet und dabei mit klarer Konzentration auf grafische Arbeiten. Dem Sauerland-Museum gelang es, nachdem Gerhard Schneider sein Interesse signalisiert hatte, seine Sammlung für eine entsprechende expressionistische Abschlussausstellung zur Verfügung zu stellen, ihn vom inhaltlichen Zuschnitt des Projekts zu überzeugen. Kaum eine private Sammlung allein wäre dazu in der Lage gewesen, das hier vorgesehene Panoptikum expressionistischer Kunst in ihren Strömungen, Seitensträngen und Entwicklungen abzubilden. Gerhard Schneider brachte zudem die umfassende Erfahrung von bis dato rund 50 Ausstellungen zu vergleichbaren Gegenständen mit sowie ein geradezu enzyklopädisches Werk zu expressionistischer Kunst und ihrer "Verfemung" und Verfolgung im Nationalsozialismus, das allein aus sieben umfänglichen Ausstellungskatalogen besteht. Zu dieser Ausstellung selbst erscheint daher auch kein separater Band. Stattdessen wird das Werk "Kaleidoskop Expressionismus"4 im Museum selbst zum Verkauf stehen, da es die entsprechende thematische Bandbreite mehr als abdeckt. Das Lebenswerk und -thema Gerhard Schneiders und seiner Sammlungen fällt gesondert auf die Schicksale derjenigen Künstler und ihrer Werke, die die nationalsozialistische Kulturpolitik seit 1933 als "entartet" diffamiert hatte. Ihm ist die Dokumentation der "Femeausstellungen" mit ihrem unrühmlichen Höhepunkt der Ausstellung "Entartete Kunst" 1937 in München sowie die Nachverfolgung der im Zusammenhang mit den "Säuberungsaktionen" beschlagnahmten, zerstörten und verkauften Werken zu verdanken. Übrigens war die "Femeausstellung" 1937, die herausragende Werke abstrahierender und deformierender Kunst – von den Nationalsozialisten als "degeneriert" aufgefasst – zusammengetragen hatte, ein enormer Publikumserfolg. Den zwei dort gezeigten Künstlerinnen und den weit über 100 Künstlern nützte dies unterdessen nichts. Die meisten suchten den Weg ins Exil, flüchteten vor dem heraufziehenden Krieg und der folgenden Besatzungsherrschaft von Land zu Land und konnten nur in den seltensten Fällen an ihre Schaffenskraft aus der Zeit vor der traumatisierenden Verfolgung anknüpfen. Ungezählte Künstler fielen dem Nationalsozialismus zum Opfer, einige wählten den Freitod, wenige zogen sich zurück, passten sich an und noch weniger knüpften nach dem Krieg an ihr vorheriges Werk an.
Den Träumen und der Aufbruchsstimmung zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der expressionistischen Kunst nachspüren
Auf dieser Basis also zeigt das Sauerland-Museum eine gemeinsam mit Gerhard Schneider kuratierte Ausstellung, die den Träumen und der Aufbruchsstimmung zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der expressionistischen Kunst nachspürt. Wie der Titel verdeutlicht, geht die gemeinsame These davon aus, dass die expressionistischen Ansätze in der Kunst wiederholt unvorhersehbaren und jeweils umwälzenden Ereignissen ausgesetzt waren. Während sich das Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg in den Errungenschaften der Moderne sonnte, entstanden europaweite und kosmopolitane Netzwerke der Kunst. So betont die Ausstellung hier die Rolle der Kunstgemeinschaften wie "Brücke", "Blauer Reiter" oder der verschiedenen "Secessions"-Bewegungen und vereint deren Exponenten im ersten Ausstellungsraum. Neben Kandinsky hängt Marc, in einer Vitrine findet sich eine originale Erstausgabe des "Blauen Reiter", die dadurch zu erkennen ist, dass ihr Titel auch mit rot eingefärbt ist. Ernst Heckel und Josef Albers sowie Heinrich Maria Davringhausen legen hier neben vielen anderen Zeugnis ab, was den Expressionismus bis 1914 so besonders machte.
1 Zitiert nach Küster, Bernd, Die Kunst und der Erste Weltkrieg, in: Schneider, Gerhard/Gottschlich, Ralf/Ladleif, Christiane (Hgg.), Der Erste Weltkrieg im Spiegel expressiver Kunst. Kämpfe, Passionen, Totentanz. Werke aus der Sammlung Gerhard Schneider und aus Künstlernachlässen, Bönen 2014, 34.
2 Hochsauerlandkreis, Der Landrat (Hrsg.), August Macke – ganz nah, Bönen 2019.
3 Ders. (Hrsg.), Im Westen viel Neues. Facetten des rheinisch-westfälischen Expressionismus, Langenhagen 2021.
4 Schneider, Gerhard/Kleine, Rasmus (Hgg.), Kaleidoskop Expressionismus. Vom Aufbruch in die Moderne bis zur NS-Verfemung. Werke aus der Sammlung Gerhard Schneider, Bönen 2022.
Das Herz der Ausstellung folgt im eine Etage tiefer liegenden Saal "Sauerland". Hier findet sich die bisher so schmerzlich vermisste Auseinandersetzung der expressionistischen Kunst mit dem Ersten Weltkrieg. Gerade hier zeigt sich die besondere Rolle, die Druckgrafik im Kunstschaffen des frühen 20. Jahrhunderts einnahm. Erzählerisch decken Grafiken im Zusammenspiel mit einer ganzen Reihe Ölgemälde von der visionären Dystopie des Europa bedrohenden Kriegsausbruchs, über Propaganda und Siegeserwartungen das Grauen von Kampf, Krieg und Tod bis zur Revolution 1918 ab. Im Mittelpunkt stehen dabei die Bilder von der Front, die Künstler wie Otto Fischer-Trachau und Erich Fraaß lieferten. Der Höhepunkt findet sich tiefer im Raum mit Werken von Lorenz Bösken, Waldemar Flaig und Fritz Fuhrken. In der Ausstellungseinheit "Revolutionszeit" beehrt ein Werk von Käthe Kollwitz die Ausstellung. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zerschlugen sich zunächst die Träume des kosmopolitanen Weltbürgertums, wie viele Künstler es sich wünschten. Doch viele verbanden mit dem Konflikt auch Hoffnungen auf einen dazu im Widerspruch stehenden nationalen Triumph. Auch dieser Traum zerschlug sich doppelt im Kriegsverlauf, noch vielmehr aber damit, dass die Künstler erstmals die Realität eines industrialisierten Krieges mit Artillerie, Giftgas, Maschinengewehren und später sogar Panzern, vor Augen geführt bekamen – und dieser Krieg natürlich den bereits erwähnten Blutzoll unter den Künstlern forderte. Stellte die Revolution zunächst den erneuten Griff nach gesellschaftlicher Utopie in Aussicht, so zerfielen auch diese Traumgebilde in der Gewalt der Revolution und ihrer Gegenrevolutionen.
Otto Fischer-Trachau – Überraschender Handgranatenüberfall auf der "Giesslerhöhe", 1916
Lorenz Bösken – Verwundeter Kavallerist am Wasser, 1917-18 Otto Fischer-Trachau – Explosion im Walde (I), 1916
Und doch war es die Freiheit der Weimarer Republik, die eine jüngere Generation der Expressionisten Hoffnung schöpfen ließ. Sie ergingen sich bald in den Segnungen zwischenzeitlicher Konsumträume einer sich demokratisch entwickelnden, aber stets umkämpft bleibenden Gesellschaft. Die Ausstellung begleitet die Fortentwicklung expressiver Kunst auch in der Neuen Sachlichkeit bis zur Konfrontation mit dem Nationalsozialismus. Unter der Bezeichnung "entartet" begegnen dem geneigten Besucher hier auch wieder viele der großen, alten Namen: Max Pechstein, Max Beckmann, Otto Pankok. Den Schluss lieferte Eberhard Viegener, dessen Entwicklung aus Expressionismus über Neue Sachlichkeit bis hin zur gegenständlichen Anpassung im Nationalsozialismus nachzuverfolgen ist, ehe nach Ende des Krieges eine abstrakte Explosion den Künstler erfasst.
Die Ausstellung ist bestückt mit Werken aus der Sammlung Gerhard Schneider und seinem Depositum beim Zentrum für Verfolgte Künste in Solingen. Für die aufwendige, kontextualisierende Gestaltung der Ausstellung konnte das Sauerland-Museum die Agentur Matthies Weber & Schnegg aus Berlin gewinnen. Die professionelle Gestaltung gewinnt durch Gliederung, Anordnung rhythmisierender Ausstellungselemente, Farbe und Beleuchtung der Sammlung Gerhard Schneider noch zusätzliche Nuancen ab. Geheimtipp: Georg Netzband, "Der Abgrund" im Raum Westfalen.
Zur Ausstellung gibt es ein umfassendes Rahmenprogramm während der gesamten Laufzeit. Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen fördert das Projekt. ✤ Fotos (6): Sauerland-Museum
Otto Fischer-Trachau – Explosion im Walde (I), 1916 Blick in die Ausstellungsräume